Was die Welt Venedig verdankt
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Die Welt verdankt Venedig u.a. das Spielcasino, Kursivschrift, Taschenbuch, Sehbrille, blaues & Spiegelglas, den Scheckverkehr, die erste Digitaluhr, das Copyright, die großindustrielle Fließbandproduktion, Fensterscheiben sowie das anonyme erotische Faschingsvergnügen à la Carnevale veneziano per Maske, aber auch Quarantäne und das Ghetto ...
... oder das erste öffentliche Opernhaus.
Diese Stadt war innovationsfreudig wie kaum eine andere.
Ihre Handwerker zählten zu den ersten,
die Linsen, Lesebrillen und Fensterscheiben herstellten.
Die Venezianer rühmen sich zudem, den Patentschutz erfunden zu haben,
aber auch die Staatsverschuldung, finanziert durch öffentliche Anleihen.
Die Entdeckung Nordamerikas und Inbesitznahme für die englische Krone
verdankt die Welt einem Venezianer. Wirklich! Kolumbus, für die Spanier
unterwegs, erreichte nur die Bahamas, aber Giovanni Caboto betrat
als erster christlicher Seefahrer nordamerikanischen Boden;
Canada ehrt ihn dafür mit Denkmälern und sogar in Venedig an Cabotos
heute noch auffälligem Haus, das wir gerne bei dieser Tour anschauen können.
Warum weiß kaum jemand davon? Weil er im Jahr nach seiner dokumentierten
Landung in Neufundland und Rückkehr nach England wieder gen Amerika
segelte und leider für immer dort verschwand ...
Die erste Digitaluhr der Welt war weder eine
Armband- noch eine Tischuhr, sondern vielmehr war und ist sie
mehrere Meter groß und befindet sich in Venedig.
Alle fünf Minuten schaltet sie weiter mittels einer
zwölfteiligen Trommel, wie im oberen Bild angezeigt.
Frage: Welche Uhrzeit ist auf obigem Bild angezeigt: 11:55 Uhr oder 2:55
Uhr P.M.? Welche Zahlen sehen Sie da auf dem Bild?
Die großindustrielle Fließbandproduktion wurde nicht etwa zum
ersten Mal von Henry Ford im 20. Jahrhundert eingeführt,
sondern bereits im Hochmittelalter im Arsenale praktiziert, der
venezianischen Staatswerft. Diese hat unsere beeindruckende Bauten
hinterlassen. Den versteckten, abgelegenen und kostenlosen Zugang
auch während der Biennale muss man aber erst einmal finden.
Zwar erfand Johannes Gutenberg zu Mainz den Buchdruck mit beweglichen Lettern, aber Italien und Venedig kopierten diese Innovation extrem schnell und lieferten fast die Hälfte der europäischen Buchproduktion. Die Druckerzeugnisse des Aldus Manutius erstaunten ganz Europa. Dieser überaus gebildete Humanist revolutionierte die gedruckte "Schreibweise" durch diverse Neuerungen: Bessere Lesbarkeit mittels Zeichensetzung z.B. durch Einführung von Interpunktion, die es bislang so noch gar nicht gab. Desweiteren durch handliche Bücher wie wir sie heute fast nur noch kennen und die Erfindung der Kursivschrift, um Platz und Papier zu sparen.
In den ersten 20 Jahren des 16. Jahrhunderts war Venedig eines der
bedeutendsten Zentren des Buchdrucks in Europa und befördert
damit - obwohl katholische Republik - sogar die Reformation in Europa,
wenn auch eher unabsichtlich und aus rein kommerziellem Interesse.
Dazu passend erfindet Venedig die Herstellung von Lesebrillen.
Durch die im Fondaco dei Tedeschi an der Rialtobrücke lebenden nordeuropäischen Händler gelangten die ersten Schriften Martin Luthers in die Stadt, um sogleich in die lokale Sprache übersetzt und von den Venezianern verschlungen zu werden. Seit Erfindung des Buchdrucks war die Herstellung von Büchern erschwinglich geworden und Venedig erfindet das Copyright zum Schutz der Verleger.
Das Haus des Humanisten und Verlegers Aldo Manuzio (venez. Schreibweise) bzw. Aldus Manutius und seine Werkstatt mit Druckerpresse. (c) Wikimedia
Schnell verfügbare Übersetzungen lösten geradezu einen Leseboom aus. Warum: In der Kaufmannsstadt Venedig lernte ein großer Teil der Bewohner und Besucher mindestens hundert Jahre früher lesen als im übrigen Europa; und die verbliebenen Analphabeten ließen sich einfach von den anderen vorlesen. Eine Revolution des Geistes setzte damit ein. Selbst Handwerker wurden von der Lese- und Diskussionswut erfasst. Passend dazu kreiert Aldo Manuzio in Venedig das Taschenbuch mit platzsparender Kursivschrift.
Laut historischen Quellen gab es bereits seit 1170 in Venedig erstes Glücksspiel unter freiem Himmel, besonders in Zeiten des venezianischen Karnevals. Die ersten konzessionierten Spielhäuser waren im 14./15. Jahrhundert in Holland und Flandern anzutreffen. Das erste deutsche Spielhaus fand sich 1396 in Frankfurt am Main. Aber bereits ab 1638 befand sich im „Ridotto“ Europas erster und ausschließlicher Glücksspielort.
Das Wort „Casino“ kommt aus dem Venezianischen und bezeichnete ursprünglich die privaten Räumlichkeiten, die die venezianischen Nobili in der Nähe des Dogenpalastes unterhielten, um dort ihre Amtstracht anzulegen, mit der sie zur Versammlung des Großen Rates bzw. als Amtsperson zu dessen Kommissionen und Regierungsgremien zu erscheinen hatten. Bald wurden diese Räumlichkeiten auch als Stätten der Geselligkeit genutzt und zum Synonym für Spielbank bzw. Spielcasino. Wobei Adelige die Bankhalter beim Glücksspiel waren und einige dieser Handelsherren einen Ersatz für den verlorenen Orienthandel gefunden hatten.
Das Wort „Casino“ bedeutet eigentlich nur „kleines Haus“, mithin das Gleiche wie „Ridotto“ = Palazzo reduto. Casinos wurden für verschiedene Zwecke genutzt, nicht nur als Vergnügungsstätten. Giacomo Casanova, selber fast spielsüchtig, wohnte zeitweise in von ihm gemieteten bzw. ihm von seinen Gönnern überlassenen Casinos, wie man aus seinen Memoiren weiß.
1638 wurde also im Palazzo Dandolo das erste öffentliche Spielcasino
Venedigs – das sogenannte Ridotto (San Marco Haus-Nr. 1362) – eröffnet;
Mitte des 17. Jahrhunderts waren es schon über einhundert. Die
Glücksspielhäuser wurden in Venedig von Privatleuten – zumeist
adelige Nobilomini – betrieben, bedurften aber einer
Art offizieller Lizenz. Warum? Die Leitlinie der Kaufmannsrepublik
Venedig war stets immer: Wenn wir etwas nicht verbieten können,
dann machen wir ein Geschäft daraus und kassieren dafür kräftig Steuern."
Egal ob Spielleidenschaft oder Prostitution.
Zum Ende der Republik gab es 1797 ganze 136 dieser Spielsalons!
Seit 1945 gibt es in Venedig nur noch ein einziges, das
am Canal Grande gelegene, städtische Casino. In dem Palazzo, in welchem
Richard Wagner seine letzten Lebensjahren verbracht hatte.
1637 entstand in Venedig das erste öffentliche Opernhaus.
Damit demokratisiert Venedig den Genuss von professioneller Musik.
Jeder konnte sich jetzt eine Eintrittskarte kaufen ... also
zumindest das wohlhabende Bürgertum, vorher waren Opernbühnen in ganz Europa
ausschließlich dem Adel vorbehalten. Musik konnte
damals ja nur live oder gar nicht genossen werden.
Für Angehörige aus dem einfachen Volke blieb nur, selber Musik
zu machen und davon machte Venedigs Volk reichlich Gebrauch, ganz besonders,
was das Singen betraf.
Europa besonders und die ganze Welt verdankt Venedig einen Beweis, der für die Zukunft der Demokratien in der Welt bis heute von unschätzbarem Wert sein kann, nämlich: Ein Staat funktioniert auch ohne jeden König oder absolutistischem Alleinherrscher: Exakt 1100 Jahre lang wurden Dogen gewählt (von Duca = Herzog) und im Laufe der Jahrhunderte immer mehr entmachtet.
Anders als z.B. in Florenz, Mailand oder gar im alten Rom konnte sich in Venedig nie eine einzelne Familiendynastie etablieren und die ganze Macht an sich reißen. Versuchte es doch mal einer, so wurde derjenige Doge vor dem Dogenpalast öffentlich enthauptet. Die Adelsdynastien der reichen Kaufmanns- und Patrizierfamilien hielten sich gegenseitig in Schach, damit kein Clan zu oft den Dogen stellen konnte. Sämtliche öffentliche Ämter wurden per Wahl - durch den männlichen Adel - auf Zeit vergeben und möglichst jedes Jahr neu gewählt. Nur der Doge war auf Lebenszeit gewählt, sollte schon etwas alt sein und durfte ab der Wahl keinen einzigen Schritt oder ein Gespräch mehr alleine machen oder sich gar vom Palazzo Ducale ohne Genehmigung seiner Berater entfernen.
Nicht umsonst stammt das Wort regata aus Venedig.
120 Bootswettkämpfe = Regatten finden im Sommerhalbjahr statt,
die von einer eigenen städtischen Abteilung koordiniert werden.
Ballonbomben waren die ersten Kampfdrohnen der Geschichte
und eine militärische österreichische Innovation von 1849
unter General Radetzky. Sie richteten relativ wenig Schaden an,
scheinen aber psycholgisch zur Kapitulation der Venezianer nach
eineinhalb Jahren Aufstand beigetragen zu haben.
Sogar die Entdeckung Nordamerikas verdanken wir einem Venezianer und
dies ist wirklich kein Mythos, sondern historisch belegt. Genua war immer die
große Konkurrenz für Venedig, aber darum sollte man den Genuesen Kolumbus
nicht überschätzen, denn der entdeckte nur die Bahamas. Nordamerikanischen
Boden betrat als christlicher Europäer zuerst tatsächlich ein Venezianer,
der mit seinem Projekt eines freien Seeweges nach Indien leider keine
Unterstützung bei der damals so stolzen Seemacht Venedig finden konnte -
mit katastrophalen Folgen für Venedig und zugunsten einer anderen künftigen Groß-
und Weltmacht, nämlich für England.
Darum trat er dann in die Dienste des englischen Königs und jetzt kennen
sie einen der Gründe, warum Nordamerika nicht spanisch, sondern englisch
werden sollte. Diesen Herrn namens Giovanni C., der aber erst als John. C.
Amerika erreichen sollte, möchten wir Ihnen bei dieser Führung vorstellen
sowie sein bis heute auffälliges Haus, direkt gelegen am Südostufer Venedigs,
von wo seinerzeits die meisten Schiffe ihren Weg aus der Lagune ins weite Meer
suchten.
Trotz alledem: Wir dürfen nicht vergessen,
wo vor der europäischen Kolonisation der Welt
der Schwerpunkt der Weltwirtschaft lag: In Süd- und Ostasien
und zwar mit 2/3 bis 3/4 des Weltsozialprodukts - da sind
sich alle Historiker einig. Und im Moment kehrt dieser Schwerpunkt jetzt
gerade wieder dorthin zurück, da die Mehrheit der Weltbevölkerung
inzwischen um den Pazifik und Indischen Ozean lebt und dort auf der
asiatischen Seite.
Denn China hatte mindestens vier große Erfindungen vor Europa:
Papier,
Buchdruck,
Kompass und
Schießpulver (das aber nur für Feuerwerk genutzt wurde).
Und - um wieder auf Venedig zurückzukommen: Gerüchte besagen,
die Spaghetti-Nudel könnte auch aus China gekommen sein,
und zwar über den Venezianer Marco Polo.
Das wird immer wieder behauptet, aber es stimmt wohl nicht:
In Italien taucht Pasta das erste Mal im neunten Jahrhundert
auf: In einem syrischen Text werden sogenannte »Itrya«,
getrocknete Nudeln aus Hartweizengrieß, erwähnt. Sie dürften
durch die Araber nach Sizilien gelangt sein. Von dort
verbreiteten sie sich schließlich auf den Rest Italiens,
also nach Venedig wohl zuletzt ...
Auch bei dieser Tour erfahren Sie viel an weniger
bekannten Geschichten aus der Historie Venedigs.
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