Austria & Germania in Venezia



Deutschsprachige Spuren in Venedig: Aus allen deutschen Landen reisten Adel, Vergnügungssüchtige und bildungsbeflissenes Bürgertum an, um das schon damals sagenhafte Venedig zu erleben. Die einen suchten Bildung, andere Carnevale & Amore. Zuletzt mutierte Venedig zu einer österreichischen Provinzhauptstadt unter Franz Joseph und Sisi.

Das Licht der Lagune lockte ganz besonders die Tedeschi aus allen deutschsprachigen Ländern; sie mussten nur das Geld haben, um sich das Ambiente des maroden Venezia leisten zu können, denn der Charme der heruntergekommenen Weltstadt und einstigen Seemacht hatte immer noch ihren Reiz genauso wie die libertinäre und frivole Atmosphäre der Stadt inmitten von Wasser. Jeder gebildete wohlhabende Mensch musste damals nach Venedig reisen.

Napoleon, der Eroberer Venedigs, musste nach seinen ersten Niederlagen die einst reichste Stadt Europas an das österreichische Kaiserreich abtreten. Der Korse und das habsburgische Österreich haben damals Venedig so (um)gestaltet, wie wir die Lagunen-Metropole heute kennen - nämlich massentourismustauglich. Manchen Campo oder Kanal, manche Strada oder Via gibt es erst seit den Habsburgern und mancher Rio (Kanal) ist seitdem zugeschüttet worden.



Bei den Venezianern ist die österreichische (Besatzungs)Zeit weniger gut in Erinnerung. Die österreichische Sicht dagegen lautet: Die Habsburger "haben Venedig vor dem vollständigen Verfall gerettet, Brücken gebaut, Straßen angelegt, die Verbindung zum Festland hergestellt, Palazzi und Kirchen restauriert, Kunstschätze zurückgeholt und die Wirtschaft wiederbelebt." (Eugen Semrau)

Also aus venezianischer Perspektive war im 19. Jahrhundert Austria eine Besatzungsmacht und im 20. Jahrhundert übrigens auch kurzzeitig Germania (um mal im Sprachgebrauch eines bekannten Deutschösterreichers und "größten Feldherrn aller Zeiten" zu bleiben). Der übrigens 1934 am Markusplatz zu seinem ersten Staatsbesuch im Ausland antrat - bei seinem hoch verehrten Vorbild Mussolini. Und der von ihm verlangte, die Selbständigkeit Österreichs zu garantieren, was dem Braunen aus Braunau überhaupt nicht gefiel. Dass Venedig dann 1861 italienisch wurde, hat die Stadt übrigens einem Deutschen zu verdanken, dem damaligen preußischen Kanzler Otto von Bismarck. Dieser wollte einfach nur die andere, konkurrierende deutschen Großmacht, den Erzfeind Österreich-Ungarn schwächen, um sein wilhelminisch-preußisch dominiertes deutsches Reich zu erschaffen ...

Die "Teutschen" waren schon seit dem Mittelalter in Venedig vertreten und das an ganz herausragender Stelle. Sie errichteten direkt neben der Rialto-Brücke mit ihrer Handelsniederlassung eines der größten Gebäude der Stadt. Auch Niederländer und andere deutsche Dialekte sprechende Handelsherren hatten im Fondaco dei Tedeschi ihren Sitz.


Die in Venedig lebende deutsche Historikerin Marlies Schleissner-Beer hat übrigens nachgewiesen, dass nach der Auflösung des deutschen Handelshauses der de-facto Nachfolger seit gut 200 Jahren die "Deutsche Evangelische Kirche in Venedig" ist. Die Evangelische Kirche Venedigs gibt es heute noch und wird von den wenigen Protestanten Venedigs auch genutzt; hier im Bild unten nachts bildmittig zu sehen. An der Fassade durfte nichts Kirchliches erkennbar sein, da die Evangelischen vor 1797 dort ihre Treffen quasi im Geheimen durchführen mussten.



Die deutschen Handelspartner waren so wichtig, dass sie sogar im Dogenpalast auf Großgemälden bis heute abgebildet sind neben Handelsdelegationen der Türken oder Perser. Schließlich verkaufte Venedig lange Zeit "Spezereien", Seide oder Porzellan aus Asien meist an Kunden nördlich der Alpen. Die exorbitanten Preise bei den schwierigen Transportbedingungen über die Alpenpässe kann man sich denken und so blieben sagenhafte Gewinnspannen in Venezia hängen, die lediglich den viel günstigeren Seetransport zu finanzieren hatten. Bei einem Gewürzimport aus Alexandria fiel für den venezianischen Kaufmann gerne das Hundertfache vom Einkaufspreis ab, für den deutschen Importeur vielleicht noch das Dreifache. Die Venezianer profitierten vom billigen Seeweg, während die deutschen Händler den steinigen Transport über die Alpen mit tierischen Lastenträgern finanzieren mussten.

Deutsche Künstler wie Albrecht Dürer holten sich ihre künstlerischen Inspirationen in Venedig, wobei das Ausnahmetalent Dürer in der Lagunenstadt ein solches Aufsehen erregte, dass der Doge ihm eine ansehliche Anstellung anbot, um im Wettbewerb mit Florenz und Rom einen großen Renaissance-Maler mehr gewinnen zu können.



Dürer war bei weitem nicht der einzige "Teutsche" in Venedig. Die berühmteste Stadtansicht vom alten Venedig, ein riesiger über 5 qm großer Druck, stammt von Jacopo de Barbari. Nach der Fertigstellung der Sicht auf die Lagunenstadt aus der Vogelperspektive ging de Barbari als Hofmaler des Kaisers nach Nürnberg und diente bis zu seinem Lebensende deutschen Fürsten.



Als die Franzosen 1797/98 zur großen Erleichterung der Venezianer abgezogen waren, wurden die nachrückenden Österreicher erst mal mit Freuden empfangen. Die Freude währte jedoch nur kurz, denn die neuen Herren brachten den Absolutismus in die Lagunenstadt: "Die allgemeine Wehrpflicht wurde eingeführt, der Bevölkerung neue Steuern aufgebürdet, die Polizei griff hart durch", aus Angst vor Revolten. Außerdem kam es "zu zahlreichen Schauprozessen, vorwiegend gegen venezianische Intellektuelle".

Als Venedig nach erneuter französischer Herrschaft und Napoleons Niederlage 1815 wiederum an Österreich ging, war die Metropole "ein kulturell und wirtschaftlich desolates Gemeinwesen". Die Stadt war von Napoleon nicht nur kulturell ausgeplündert worden, einiges davon wie z.B. die vier Pferde über den Markusdom - 1202 von Venedig in Byzanz geraubt - bringen die über Frankreich siegreichen Österreicher wieder zurück in die Lagune. Viele Einwohner hatten die Stadt verlassen. Zudem brach die Cholera aus. Die neue Herrschaft half beim Wiederaufbau.

Hausnummern, Zoll & Geld sowie der Aufbau "einer zeitgemäßen Stadtverwaltung" war Ziel der Österreicher. In den einzelnen Sestieren, den Stadtvierteln, wurden also die zumeist vierstelligen Hausnummern von den Österreichern eingeführt.



Die Svanzica ("Zwanziger") war eine Silbermünze, die im k-&-k-Reich und in Norditalien weit verbreitet war.



Das k&k-Kaiserreich hatte seine Provinz Venedig bereits 1861 an den neu gegründeten italienischen Nationalstaat abgeben müssen - hauptsächlich auf Betreiben eines gewissen Otto von Bismarck, der Austria aus einem künftigen Deutschland raushalten und damit auch schwächen wollte.



Trotzdem wurde über 30 Jahre nach dem Verlust Venedigs in der österreichischen Metropole der erste Freizeit- und Themenpark der Welt eröffnet unter dem Titel "Venedig in Wien". Da konnte man sich in Gondeln sogar durch ein paar Kanäle schippern lassen. Diesen Wiener Park gibts schon lange nicht mehr, aber weltweit boomen inzwischen ähnliche Imitationen wie in [Fotos aus Videos holen!] Las Vegas oder Dubai. Schön für alle, denen Venezia und Europa einfach zu weit weg gelegen sind.



... Ballonbomben waren eine militärische österreichische Innovation von 1849 unter General Radetzky und wurden erstmals bei der Niederschlagung des venezianischen Aufstandes von 1848/49 gegen das k&k-Regime eingesetzt.
Ballonbomben oder Brandballons sind kleine unbemannte Ballons, die bei sich eine Brand- oder Sprengladung tragen, welche nach einer bestimmten Zeit automatisch abgeworfen oder ausgelöst wird. Der 1849 angerichtete Schaden der jeweils mit 15 kg Sprengstoff bestückten Ballonbomben war zwar recht gering, die psychologische Wirkung offenbar jedoch beträchtlich, denn wenige Wochen nach dem Beginn der ersten Luftangriffe der Weltgeschichte mit "Kampfdrohnen" kapitulierte die "Freie Republik Venedig", deren Aufstand gegen die österreichische Fremdherrschaft ein Jahr zuvor begonnen hatte.

Erkennen Sie auf dem Bild oben, neben welcher Kirche am Canal Grande hier ein Feuer ausgebrochen ist?


Molino Stucky war einst die größte Kunstmühle Italiens, gestaltet mit norddeutscher Ziegelstein-Fassade

Norddeutsche Ziegelsteinarchitektur: Die Molino-Stucky-Fassade im Vergleich 1905 zu 2019.

Im 19. Jahrhundert erreichte auch die Industrialisierung Venedig, das dringend neue Arbeitsplätze brauchte. Der Sohn einer Venezianerin und eines Schweizer Einwanderers namens Giovanni Stucky errichtete in den 1890er Jahren die größte Kunstmühle Italiens gegenüber der Zattere-Promenade, laut italienischer Presse auch die "schönste Mühle Italiens". Gegen den Willen der Behörden Venedigs war das Gebäude nach einem Hannoveraner Vorbild von dem Hannoveraner Architekten Ernst Wullekopf in norddeutscher Backsteinarchitektur errichtet worden und ist mit neun Stockwerken seitdem das höchste Gebäude Venedigs.

Nach der Pleite der Mühle im Jahre 1955 verfällt das ungenutzte Gebäude und soll es dort immer wieder gespukt haben. Erst ein halbes Jahrhundert später wird es zum heutigen Luxus-Hotel umgebaut.




In Venedig trafen Adolf Hitler und Benito Mussolini 1934 erstmals aufeinander. Zu diesem Zeitpunkt war Hitler noch der Lehrling und Mussolini sein bewunderter Meister, der aber die Unabhängigkeit Österreichs (noch) verteidigt.

Dieses spezielle und merkwürdige Kapitel der austro-germanisch-italienischen Beziehungen beginnt 1924, als der gerade aus einem bayerischen Gefängnis entlassene Österreicher Adolf Hitler den von ihm bewunderten italienischen Diktator Benito Mussolini um eine Autogrammkarte bittet. Die italienische Botschaft lehnt dies in einem höflichen Antwortschreiben ab; Hitler galt damals eher noch als gescheiterter politischer Raufbold, der sein Unwesen in der "nördlichsten Stadt Italiens" trieb, die zwar in Deutschland gelegen, aber auf Italienisch Monaco di Baviera heißt. Zehn Jahre später muss Mussolini auf Augenhöhe mit dem frisch gebackenen deutschen Faschisten und Führer-Kollegen aus Berlin verhandeln - es geht um Österreich und Südtirol - und lädt diesen nach Venedig ein, da der verhinderte Künstler FOTO Adolf Hitler auch mal auf die Biennale möchte. Hitler, der nie im Ausland war, steht eher wie ein Lehrling neben dem Duce, seinem großen Vorbild, auf der Tribüne am Markusplatz (die Bühne steht zwischen Campanile und Cafe Florian - siehe Foto).

Mussolini verhandelt hart, weiß sich prachtvoll zu inszenieren und sein neuer Diktatoren-Kollege wird daraus einiges lernen, was die nationalsozialistische Selbstdarstellung betrifft.

FOTO Mussolini und Hitler am Markusplatz

In den weiteren zehn Jahren wird sich dieses Verhältnis radikal umkehren: Hitler degradiert den einst von ihm bewunderten Duce Stück für Stück zu seiner politischen Marionette. Solange, bis es für beide 1945 böse enden wird.

Wir können - bei entsprechendem Interesse Ihrerseits - auf dieser Stadtführung gerne Bezüge herstellen, welche das europäische Handelszentrum Venedig mit den verschiedenen deutschen Städten hatte. Zum Beispiel mit ...

... mit Hamburg/Bremen/Lübeck: Warum schlossen sich die italienischen Seehandelsstädte wie Venedig, Genua, Pisa oder Amalfi nicht zu einer Art Hanse zusammen wie die meisten nordeuropäischen Handelsmetropolen, sondern führten ständig Krieg miteinander?

... mit Nürnberg: Die Herausbildung der politisch allein bestimmenden Patrizierfamilien lief (nicht nur) on Venedig und Nürnberg ziemlich ähnlich ab. Parallel hatten beide Handelspartner nach dem Ende des Mittelalters eine lang anhaltende Niedergangsphase, welche bei beiden damit endete, dass Napoleon ihnen ihre Selbständigkeit als unabhängige Stadtrepubliken nahm.

... mit Augsburg: Jakob Fugger, der in Augsburg zum wohl damals reichsten Menschen des Planeten mit einem Vermögen von über einer Billion Euro (nach heutiger Kaufkraft), lernte in seiner Jugend in der venezianischen Niederlassung der Fugger sein kaufmännisches Handwerk. Die Erben des damals wohl reichsten Mannes der Welt werden später immer wieder in Venedig nachfragen, wie denn das Geheimnis des "Goldmachens" funktionieren könnte, was dann einen großen Eindruck machenden "Goldmacher" aus Venedig ins heutige Bayern führen sollte ...



Wie immer erfahren Sie auch bei dieser Tour viel über die weniger bekannte und oft vergessene Geschichte Venedigs.



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